Kommentar, Meinung zum BFSG

Aus der täglichen Erfahrung zum Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (BFSG) von Betroffenenseite der Webseiten- & Online-Shop-Betreiber sowie der Umsetzerseite der Webentwickler & Agenturen ergibt sich meine Meinung zu diesem Gesetz. Das ist ein persönlicher Kommentar, der meine Einschätzung wiedergibt. Diese ist nicht allgemeingültig und kann sich ändern. Nachdenkenswerte Kommentare oder Hinweise sind daher willkommen.

Kommentar zum BFSG

Digitale Zugänglichkeit ist essenziell. Schwache Kontraste, schlechte Lesbarkeit oder unklare Linkbezeichnungen begegnen einem täglich auf zahllosen Webseiten. Daher ist es zu begrüßen, dass für diese Themen sensibilisiert und für mehr Barrierefreiheit – auch im digitalen Raum – geworben wird. Menschlich wie juristisch ist das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (BFSG) gut gemeint, aber leider schlecht gemacht.

Richtig ist der europaweite Ansatz über den European Accessibility Act (EAA). Auch die nationale Umsetzung durch fachkundige Behörden, die mit Augenmaß handeln können, ist nachvollziehbar. Ebenso überzeugt die Orientierung an etablierten Standards wie den WCAG-Richtlinien. Positiv fällt zudem auf, dass der Gesetzgeber sich mit dem Umsetzungsaufwand konkret auseinandergesetzt hat.

Doch genau die im Gesetz geforderte Klarheit und Verständlichkeit hätte man zunächst an dessen Wortlaut selbst anlegen sollen. Einen guten Juristen zeichnet aus, komplexe Sachverhalte verständlich darzustellen. Diese Maxime sollte für Gesetze im Allgemeinen gelten – und im Besonderen für eines, das sich mit Barrierefreiheit befasst.

Warum war es trotz des bekannten technischen Aufwands nicht möglich, den Geltungsbereich digitaler Dienstleistungen klar zu definieren? Millionen Webseitenbetreiber in der EU wissen nicht, ob sie vom Gesetz betroffen sind, ob sie aufwendig entwickelte digitale Lösungen zurückbauen oder die erheblichen Kosten einer barrierefreien Umsetzung tragen müssen. Warum wurde nicht von Anfang an präzise auf einen Vertragsschluss ohne manuelle Beteiligung beider Seiten abgestellt? Das hätte viel Frust und Dysphemismus erspart und das Thema Barrierefreiheit auch positiv besetzen können. Chance vertan.

Wer jetzt an die oft zitierten Argumente für barrierefreie Webseiten denkt, erkennt bei genauerem Hinsehen: Abgesehen von einer potenziell (!) größeren Reichweite bleibt wenig Substanz. Der angebliche Vorteil für die Sichtbarkeit in Suchmaschinen bleibt in der Praxis oft marginal – insbesondere, weil vernünftige Webseitenbetreiber ihre Seiten ohnehin bereits im Rahmen ihrer für sinnvoll erachteten Möglichkeiten optimiert haben. Diese Entscheidung sollte jeder Betreiber im eigenen Interesse treffen und abwägen dürfen. Das Gesetz bringt damit eine weitere rechtliche Verpflichtung mit sich, deren Eingriff und Kosten häufig in keinem Verhältnis zum tatsächlichen Nutzen stehen. Die vorgesehene Ausnahme bei unverhältnismäßiger Belastung greift kaum, da sie überwiegend auf Gesamtumsatz und -kosten abstellt – und damit in vielen Fällen ins Leere läuft.

Das alles wäre wie in vielen anderen Ländern halb so wild, weil die nationalen Marktüberwachungsbehörden mit Bedacht und Zeitverzug aktiv werden können. Zum Start des Gesetzes hat die neue zentrale Marktüberwachungsbehörde in Deutschland weder die Legitimation aller Bundesländer noch eine formale Adresse. Doch das in Deutschland typische Abmahn(un)wesen konterkariert diesen Spielraum bereits ab dem ersten Geltungstag: Tausende Webseiten- und Online-Shop-Betreiber werden zur leichten Beute für dubiose Vereine und missgünstige Wettbewerber. Auch das ließe sich politisch und gesetzlich entschärfen – wenn man es denn wollte.

Fazit: Das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz ist so leider primär ein weiterer kostspieliger Eingriff in die deutsche Digitalwirtschaft. Dabei wäre das Ansinnen richtig und wichtig. Schade.

Robert Hartl
Juni 2025


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Autor & Hintergrund

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Robert Hartl

Zum BFSG gibt es enormen Beratungsbedarf aufgrund der generellen und unklaren Formulierungen bezüglich Geltungsbereich etwa für werbliche Webseiten oder konkreter Umsetzung wie der Barrierefreiheitserklärung.
Dazu ist der technische Umsetzungsaufwand häufig enorm und wird sich so schnell nicht amortisieren.

Das führt zwar zu Reichweite und Interesse, aber auch zu Frust und Ablehnung. Dabei ist der Grundgedanke der auch digitalen Inklusion und besseren Zugänglichkeit unterstützenswert und nachvollziehbar.

Als Jurist und Webentwickler erfahre ich beide Seiten: die juristischen Anforderungen sowie die technischen Herausforderungen, vor denen Betreiber von vielen Webseiten und Online-Shops stehen.
Das führt zu vielen Fragen, Meinungen und Lösungsversuchen, die bei uns „abgeladen“ werden. Daraus ist dieser Kommentar entstanden. Nicht mehr, aber auch nicht weniger.

3 Gedanken zu „Kommentar, Meinung zum BFSG“

  1. Hallo Herr Hartl,

    erst einmal herzlichen Dank für all Ihre Arbeit und Engagement speziell in dieser Sache! Ihre Hinweise und Tipps sind super und ich werde meine Kunden und Geschäftspartner auf Ihre Seite aufmerksam machen. Damit auch hier Wissen und Aufklärung der üblichen Angstmacherei entgegenstehen kann.
    Aktuell werden viele Unternehmen auf dem Wege der möglichen Abmahngefahren von Agenturen angeschrieben – wobei hier häufig damit argumentiert wird, dass auch reine Webseiten mit Kontaktformularen betroffen sind.
    Wenn es sich ergibt, stellen Sie das bitte noch etwas stärker heraus, denn da wird gerade reichlich Schindluder mit getrieben und damit habe ich ein echtes Problem ;-). Danke und ein schönes Wochenende.

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  2. Hallo, ich finde die dieses Gesetz hat durchaus seine Berechtigung für Dingen die sich umsetzen lassen. Bei allen anderen Dingen ist das eine Katastrophe was hier von der EU kam!

    Als Beispiel will ich einmal die sehr gute Seite der Comdirect nennen, diese hatte eine Korrelationsmatrix, selbst bei großen Depots wurde diese sauber dargestellt und ein Gesamtkorrelationskoeffizienten berechnet, das war sehr hilfreich! Daraus resultierte bei vielen Positionen eine sehr große Tabelle mit zig Zahlenwerten, die jemand mit einer Behinderung natürlich Probleme breitet.
    Um eine Aussagekraft zu erhalten, kann man das leider nicht anders darstellen, das war perfekt!
    Andere Banken hatten so etwas gar nicht angeboten, das war wirklich gut. Was macht nun die Comdirect gezwungenermaßen, sie lässt diese sehr hilfreiche Funktion wegfallen, da dies nicht barrierefrei umgesetzt werden kann!!!
    Weiterhin bot die Comdirect ein Möglichkeit zur Optimierung, auf Grundlage dieser Tabelle an. Auch dies entfällt, da kann ich nur sagen:“ Danke an alle, die an dieser Glanzleistung mitgearbeitet haben!“.

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  3. Ich stimme zu, das Gesetz ist schlecht gemacht. Über 36 Seiten werden Pflichten für Hersteller, Händler und Dienstleister beschrieben, sowie Strafen bei Nichterfüllung angedroht. Jedoch bleiben die Anforderungen so vage, dass es uns zum einen nicht klar wird, ab wann Barrierefreiheit laut Gesetz gegeben ist. Noch schlimmer, es wird nicht klar, ob unsere nun barrierefrei gestaltete Website tatsächlich Menschen mit Einschränkungen dienlicher ist.

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Aktualisiert zuletzt am 22.08.2025 Zitierweise Druckversion Fehler gefunden?